Wir sollten berücksichtigen, welches Reich gemeint ist

Ein Gespräch mit Norbert Lieth über das Wesen des Reiches Gottes, die Verbindung Israels mit dem «Reich der Himmel», die neue Erde und die Bedeutung der Verheissung, dass Gott «alles in allen» sein wird.

Über das Reich Gottes kursieren viele verschiedene Meinungen im evangelikalen Christentum. Was sind nach deiner Erkenntnis die wichtigsten Punkte für unser Verständnis vom Reich Gottes?

Wir sollten unbedingt berücksichtigen und auseinanderhalten, welches Reich zu welcher Zeit gemeint ist. Als Johannes der Täufer als Wegbereiter Jesu das Reich ankündigte, sprach er von dem bevorstehenden sichtbar eintretenden messianischen Reich (Mt 3,2). Das gleiche verkündigte Jesus, als Er begann, öffentlich in Israel als Messias aufzutreten (mehr dazu im Artikel auf S. 22). In Seiner Bergpredigt ging es um die Bedingungen, um in dieses irdische Gottesreich einzutreten (Mt 5ff.) Darum sagte der Herr in Seiner Seligpreisung auch: «Glückselig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben!» (Mt 5,5). Seit der Verwerfung Jesu durch das jüdische Volk ist das Reich unsichtbar und treten diejenigen ein, die zur Gemeinde gehören. Nach der Entrückung und der grossen Trübsal tritt die Verheissung für Israel wieder in Kraft und kommt das sichtbare Königreich mit der Wiederkunft Jesu zurück (Offb 12,10).

In Daniel 2,44 wird das Reich Gottes mit einem Stein verglichen, der die Reiche dieser Welt zermalmt. Wie deutest du im Groben diese Prophetie? Was ist bereits erfüllt, was wird sich noch erfüllen?

Die Statue, von der der babylonische König Nebukadnezar in Daniel 2 träumte, symbolisierte die verschiedenen Weltreiche. Der Stein, der ohne Hände losbrach und die Statue zerschlug, ist ein Hinweis auf Jesus Christus. Jesus ist ohne irdischen Ursprung, daher der Stein, der ohne Hände losbrach. Er kam aus dem Himmel, wurde durch den Heiligen Geist gezeugt und von einer Jungfrau geboren. Bei Seiner Wiederkunft wird der Herr vom Himmel her zurückkommen, die Weltreiche zerschlagen und selbst ein Weltreich aufrichten (Dan 2,34–35). Die ersten vier Weltreiche der Statue sind bereits Geschichte. Es betraf Babylon, dargestellt als goldenes Haupt; Medo-Persien als Brust und Arme aus Silber; Griechenland als Bauch und Lenden aus Bronze; und Rom als Schenkel aus Eisen. Die Füsse aus Eisen und Ton deuten auf das letzte Stadium der Weltreiche in der Endzeit hin, was heute aktuell zu werden scheint. In Daniel 7 und in Offenbarung 17 finden wir die passenden Parallelen zu jener letzten Phase.

In der Bibel werden Königreiche auffallend oft im Zusammenhang mit Bergen erwähnt. Kannst du einige Beispiele nennen?

Ein Berg ist in der biblisch-symbolischen Sprache oft ein Hinweis auf ein Reich bzw. eine Regierungsmacht: Das Reich Babel wird als Berg bezeichnet (Jer 51,25), Samaria ebenso (Am 6,1), Assyrien und Ägypten sowie andere Nationen (Mi 7,12). Die sieben Berge in Offenbarung 17,9–10 stehen für sieben Könige bzw. Königreiche. Das Reich des Messias wird zu einem Berg (Dan 2,35.44; Mi 4,1). Der Berg Zion steht für Jerusalem und letztlich für die rettende Macht des Messias von der Hauptstadt Israels aus (Joel 3,5; Offb 14,1). Im Messianischen Reich wird der Berg des Herrn an der Spitze über alle Berge stehen, d.h. über alle Nationen erhaben (Jes 2,2; Mi 4,1). Diesbezüglich ist es interessant, dass der Herr Jesus Seine «Regierungserklärung» für Sein Reich in der Bergpredigt auf einem Berg hielt. Da es um den Anbruch der Königsherrschaft Jesu als Messias Israels ging, war der Berg auch ein angemessener Ort. Und in Psalm 15 heisst es als prophetische Vorschattung zum Messianischen Reich: «Herr, wer wird in deinem Zelt weilen? Wer wird auf deinem heiligen Berg wohnen? Der in Lauterkeit wandelt und Gerechtigkeit wirkt und Wahrheit redet von Herzen, nicht verleumdet mit seiner Zunge, nichts Böses tut seinem Gefährten und keine Schmähung bringt auf seinen Nächsten; in dessen Augen der Verworfene verachtet ist, der aber die ehrt, die den Herrn fürchten (hat er zum Schaden geschworen, so ändert er es nicht), der sein Geld nicht auf Zins gibt und kein Geschenk nimmt gegen den Unschuldigen. Wer dies tut, wird nicht wanken in Ewigkeit.»

Welche Rolle spielt das Volk Israel im Zusammenhang mit dem Reich Gottes?

Bei der Aufrichtung des Königreiches Jesu auf Erden, dem Tausendjährigen Reich – auch Millennium genannt –, fällt Israel wieder eine entscheidende Rolle zu. Zunächst wird der Überrest Israels durch die Trübsalszeit, die in der Offenbarung beschrieben wird, hindurchgeführt und zur Busse gebracht. Bei der Wiederkunft Jesu wird dieser Überrest erlöst. Wenn der Herr dann Sein Reich aufrichtet, wird Israel mitregieren. Dazu heisst es in Daniel 2,44: «Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber in Ewigkeit bestehen.»

Wie lassen sich die Aussagen des Apostels Paulus «dem Juden zuerst als auch dem Griechen» (Röm 1,16) und «da ist weder Jude noch Grieche» (Gal 3,28) miteinander vereinbaren und erklären?

Den Juden wurde zuerst die Erlösung angeboten, dann darüber hinaus auch den Nationen («Griechen»). Über Israel sind Jesus Christus und Sein Evangelium zu den Nationen gelangt. Kapitel 1 bis 9 der Apostelgeschichte berichten uns, wie die Erlösung zuerst Israel angeboten wurde, ab Kapitel 10 gelangte es dann auch zu den Nationen. Was nun die Erlösung innerhalb der Gemeinde als Leib Christi betrifft, gibt es keinerlei Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden; es existiert nur noch ein Leib. Innerhalb dieses Leibes gibt es keine Nationalitäten. Dieser Leib steht unter der vollkommenen Gnade und nicht mehr unter dem Gesetz. Darum heisst es in diesem Zusammenhang: «… denn ihr seid alle einer in Christus Jesus» (Gal 3,28).

Gelten die Verheissungen (insbesondere des Landes) für Israel nur für das Tausendjährige Reich oder auch darüber hinaus für die neue Erde? 

Israel, das als Volk die Verheissung trägt, scheint auch auf der neuen Erde erhalten zu bleiben, wie Jesaja sagt: «Denn gleichwie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor meinem Angesicht bleiben werden, spricht der Herr, so soll auch euer Same und euer Name bestehen bleiben» (Jes 66,22). Das neue Jerusalem, das vom Himmel auf die Erde kommt, hat einen deutlichen Bezug zu Israel, zu den zwölf Stämmen, dargestellt in den zwölf Toren und den zwölf jüdischen Aposteln. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Verheissungen Israels auch auf der neuen Erde gelten. Die Gemeinde wird vom Himmel her mitregieren und natürlich allezeit Zugang zur neuen Erde haben.

Was bedeutet es, dass Gott am Ende der Heilsgeschichte alles in allem sein wird?

Wenn der Herr Jesus die Königsherrschaft Gott dem Vater übergibt, dann wird jede Herrschaft und Obrigkeit aufgehoben sein, dann ist eben Gott alles in allem. Ich könnte mir vorstellen, dass dann alle Unterschiede aufgehoben werden, auch die Unterschiede zwischen Israel und der Gemeinde. «Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei» (1.Kor 15,28).

Vielen Dank für das Gespräch.

Norbert Lieth absolvierte seine theologische Ausbildung an der Bibelschule des Mitternachtsruf in Südamerika und war dort auf verschiedenen Missionsbasen tätig. Ein zentraler Punkt seines weltweiten Verkündigungsdienstes ist das prophetische Wort Gottes.
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