Hat der grosse Abfall vom Glauben begonnen? (Teil 1)

Schon immer gab es leidenschaftliche Prediger, die vor der nahenden Apokalypse warnten und die Verdorbenheit der Gesellschaft anprangerten. Was ist heute anders?

Die Bibel spricht öfters vom «Abfall». Manchmal wird dafür das Wort «Apostasie» verwendet, was Rebellion bedeutet oder sich von etwas abwenden, an das man geglaubt hat.

Im Alten Testament erscheinen Begriffe wie «Abfall», «abweichen», «abwenden» und andere (Jer 2,19; 5,6; 8,5; 14,7; Hos 11,7). Wenn es in Israel zum Abfall kam, war es ein Abwenden vom Wort Gottes, von Seinem Willen und Seiner Gegenwart. Dies war immer mit Götzendienst, Unmoral, sozialer Ungerechtigkeit, Egoismus und früher oder später auch mit dem Gericht Gottes verbunden. Unter anderen gebraucht Daniel dieses Wort für die Zeit des Antichristen: «Und er wird die, welche gegen den Bund freveln, durch Schmeicheleien zum Abfall verleiten; die Leute aber, die ihren Gott kennen, bleiben fest» (Dan 11,32). 

Im Neuen Testament finden wir verschiedene Stellen, die vom Abfall von den göttlichen Wahrheiten reden. 

Der Erste, der vom Abfall in der Endzeit redete, war der Herr Jesus selbst. Er prophezeite, dass dies in einer kommenden Zeit der Trübsal in besonderer Weise zu sehen sein würde: «Und dann werden viele Anstoss nehmen und einander verraten und einander hassen. Und es werden viele falsche Propheten auftreten und werden viele verführen» (Mt 24,10). Dasselbe Wort wird auch im Gleichnis des Ackermanns und vierfältigen Ackerfelds gebraucht. Vom Samen, der unter die Felsen fällt, heisst es: «… er hat aber keine Wurzel in sich, sondern ist wetterwendisch. Wenn nun Trübsal oder Verfolgung entsteht um des Wortes willen, so nimmt er alsbald Anstoss» (Mt 13,21). Obwohl das Wort Gottes bei ihnen etwas gewirkt hat, fallen sie davon ab, sobald es deswegen Probleme gibt. 

Der Herr Jesus bezeichnete die Verführung als eines der wichtigsten Endzeitzeichen vor Seinem Kommen in Herrlichkeit. Es ist das einzige Zeichen, das dreimal in Matthäus 24 wiederholt wird (Mt 24,4.5.11.23–26). Und obwohl der Höhepunkt der Verführung in der letzten grossen Trübsalszeit kommen wird, sehen wir schon jetzt die Vorboten davon.

In 2. Thessalonicher 2,3 schreibt der Apostel Paulus denen, die meinten, das Kommen des Herrn wäre schon geschehen: «Niemand soll euch irreführen in irgendeiner Weise, denn es muss unbedingt zuerst der Abfall kommen und der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens offenbart werden». An anderer Stelle meint Paulus: «Der Geist aber sagt deutlich, dass in späteren Zeiten etliche vom Glauben abfallen und verführerischen Geistern und Lehren der Dämonen anhangen werden» (1.Tim 4,1). Oder: «Sehet zu, ihr Brüder, dass nicht jemand von euch ein böses, ungläubiges Herz habe, im Abfall begriffen von dem lebendigen Gott» (Hebr 3,12). Und in 2. Timotheus 4,4, im Kontext von Warnungen über die Endzeit, erklärt Paulus: «und sie werden ihre Ohren von der Wahrheit abwenden und sich den Fabeln zuwenden.»

Diese Bibelstellen zeigen, dass, je mehr wir der Endzeit und dem Erscheinen des Antichristen näherkommen, desto mehr wird der Abfall zunehmen. Damit es aber einen Abfall oder eine Apostasie geben kann, muss es zuerst etwas gegeben haben, von dem die Menschen abfallen können und was sie beeinflusst hat. Wenn wir nun in unserer westlichen Welt nach etwas suchen, das durch eine lange Zeit hindurch grosse Teile der Gesellschaft beeinflusst hat, dann kommen wir nicht umhin, vom Christentum zu reden. 

Das Christentum als Ganzes umfasst mehr als «nur» die wahren an Jesus Christus Gläubigen, sondern alle, die sich zwar kulturell gesehen Christen nennen, aber nicht im Herzen glauben. Der ganze Westen und viele andere Gegenden in der Welt wurden vom Christentum und von der Bibel beeinflusst. Das sehen wir in der Geschichte, der Literatur, in den Gesetzen, Gewohnheiten, in der Erziehung, in den Werten und Traditionen, in der Kunst und in vielem anderen mehr … bis hin zur Teilung unserer Zeitrechnung in vor Christus und nach Christus

Erschreckend ist nun aber zu sehen, wie vieles in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen ist. Die christlichen Werte werden ein «Skandal», ein Motiv des Spotts, der Verachtung und sogar der Verfolgung. Leider lassen sich sogar wahrhaft Gläubige von diesen weltlichen Tendenzen beeinflussen. Gerade im Kontext von 2. Timotheus warnt Paulus vor einer sehr gefährlichen Zeit. Wenn wir nun wissen wollen, ob das Kommen des Herrn nahe ist, müssen wir nur die letzten Worte des Apostels Paulus lesen. Im zweiten Brief an Timotheus, den man auch als sein Testament bezeichnen könnte, zeigt der Apostel die Eigenschaften, die die Menschen in der Endzeit kennzeichnen werden. 

Er leitet das Thema mit einer ernsten Warnung ein: «Das aber sollst du wissen, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden» (2.Tim 3,1). Die Eigenschaften, die der Apostel nun zu erwähnen beginnt, sind nicht viel anders als die in Römer 1, wo generell Leute beschrieben werden, die nichts von Gott wissen wollen. Weshalb nun diese ernste Warnung? Weil die Gefahr der «letzten Tage» nicht von Menschen ausgeht, die fern von Gott sind, sondern weil diese bösen Eigenschaften dort sichtbar werden, wo sich viele für Christen halten bzw. gehalten haben. 

Generell gesprochen war der ganze Westen (Europa, der amerikanische Kontinent, Australien und Teile Asiens und Afrikas) seit ihrer Christianisierung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein von einer gewissen Gottesfurcht gekennzeichnet. Die Gesetzgebung, moralischen Wertevorstellungen und das Verständnis dessen, wie ein gutes Leben aussehen sollte, waren von den Massstäben in Gottes Wort geprägt. Das heisst natürlich nicht, dass alle Menschen gläubig waren oder sich etwa daran gehalten hätten. Aber Sündhaftigkeit galt in der Regel nicht als Tugend.  

Diese Haltung veränderte sich ab den 1960er-Jahren drastisch. Die sexuelle und feministische Revolution machte aus Unzucht und Untreue etwas Erstrebenswertes, ein Ausdruck vermeintlicher Authentizität und wahrer Liebe. Die bewusste Verwerfung christlichen Denkens explodierte: Einerseits wandten sich immer mehr Namenschristen in ihrer Sinnsuche den orientalischen und dämonischen Religionen zu und andererseits erhielt die Evolutionstheorie zunehmend den Status eines religiösen Dogmas. Der Niedergang im ethischen Denken entwickelte weitreichende Konsequenzen im moralischen Verhalten vieler. Der Drogenkonsum geriet ausser Kontrolle. Offener Satanismus wurde «cool» (mit der fadenscheinigen Begründung: «Wir glauben ja nicht wirklich an den Teufel»). Dies alles pervertierte das sogenannte Christentum wie nie zuvor. 

Welche Auswirkungen dieser grossflächige Abfall hat, sehen wir in 2. Timotheus 3. Wenn Paulus von den «letzten Tagen» spricht, meint er damit auch schon die Zeit des Timotheus (V. 5). Aber es ist augenscheinlich, dass der Abfall heute zu einem nie dagewesenen Höhepunkt gekommen ist. 

Paulus fängt mit «selbstsüchtig» an. Die Menschen der Endzeit sind egozentrisch, selbstsüchtig und angeberisch. Das ist die Essenz der Sünde. Der Mittelpunkt dieser sich selbst liebenden Menschen sind sie selbst. Es ist das Reich des «Ich». Und wenn das Ich regiert, gibt es keinen Platz für andere. Dies sehen wir heute in vielfältiger Weise. Alles dreht sich um einen selber, um die Selbstfindung, um «meine Identität». «Ich meine», «ich denke», «ich will» gilt mehr als der Wille Gottes. Bei sich selbst liebenden Menschen gibt es keine Zeit für Gott und Seine Interessen. Er bekommt höchstens noch das, was übrigbleibt, nachdem das «Ich» sich selbst verwirklicht hat. Ein profaner Beweis für diese Entwicklung ist die Selbstdarstellung im Internet. Wir sind eine Selfie-Gesellschaft geworden, in der das grosse Ich immer zuerst im Bild erscheint. 

Diese Selbstliebe drückt sich auch in einer überdimensionierten Liebe zum eigenen Körper aus. Wer sich heute darin nicht wohlfühlt, übersät ihn «bestenfalls» mit Tattoos, unterzieht sich Schönheitsoperationen oder verändert schlimmstenfalls das Geschlecht. Diese Selbstliebe, in der der Mensch allein im Mittelpunkt steht und sich als höchste Instanz des Himmels und der Erde dünkt, ist schon lange in die Gemeinden eingesickert. Das Wohlfühlevangelium unserer Zeit sagt: «Gott will, dass du dich wohlfühlst. Tue deshalb einfach das, was dir ein gutes Gefühl gibt. Es muss für dich stimmen.» Das ist der Freibrief, all das zu tun, was einem Spass, Freude oder Genuss bringt. Ob es sich auch mit Gottes Wort verträgt, ist nicht mehr wichtig. Biblische Prinzipien wie Hingabe, unsere Glieder auf den Altar zu legen (Röm 12,2) oder Enthaltsamkeit (Gal 5,22) sind nicht mehr modern und auch kaum noch von den Kanzeln zu hören. 

Die nächste böse Eigenschaft auf der Liste des Apostels ist «geldgierig» bzw. «geldliebend». Diese hängt eng mit der vorherigen zusammen. Wer sich selbst liebt, trachtet nach mehr Geld, um sich selbst mehr zu befriedigen. Die Selbstverliebten sammeln Geld und Güter und es bleibt nichts oder wenig für andere übrig. Sie bemerken nicht, wie ihre selbstsüchtige Geldliebe alle Lebensbereiche – die persönlichen, familiären und gesellschaftlichen – beeinflusst. Unser Herr Jesus warnte davor in Lukas 12,34: «Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.» Er sagte auch, dass gerade die Geldliebe ein Götze dieser Welt ist: «Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon» (Mt 6,24). 

Leider fallen viele Christen auch diesem Fallstrick zum Opfer. Sie leben nur für das Materielle und geben lediglich das, was übrig ist, dem Herrn. Sie fliegen in alle Welt in die Ferien, aber haben keine Augen für die Mission in aller Welt. Sie geben viel für sich selbst aus, aber das Werk des Herrn kann nicht vorangehen, weil die Mittel fehlen. 

Als Nächstes nennt Paulus die, die «prahlerisch» sind. Wer sich selbst sucht und viel Geld hat, muss damit natürlich angeben. Die Selbst- und Geldverliebten prahlen mit ihrem neuen Auto, dem besten Handy, der teuren Kleidung, mit dem Ferienparadies, das sie besuchten, mit dem, was sie geleistet oder zu was sie es gebracht haben. Und wer diesbezüglich nicht mit den anderen mithalten kann, stürzt sich in Schulden, um auch etwas darstellen zu können. Leider ist Prahlerei in der Gemeinde auch nicht fremd. Manche schaffen es sogar, damit anzugeben, was sie im Dienst für den Herrn geleistet haben. 

Darauf folgt, «hochmütig» gegenüber anderen zu sein. Die selbstsüchtigen, geldliebenden Prahler der Endzeit sind arrogant. Sie versuchen, über den anderen zu stehen. Einer der wichtigsten Werte des Christentums, die Demut, wird mit Verachtung bedacht und als Schwäche betrachtet. Leider lassen sich auch Christen durch Titel, Achtung und Anerkennung von den Menschen und durch Anmassung blenden. Für Demut bleibt nicht viel Raum übrig.

Paulus fährt fort und nennt «Lästerer». Es geht darum, Gott und andere zu erniedrigen. Jeder kann alles Mögliche über Jesus, Gott, die Bibel und die Christen sagen. Ich glaube, dass gerade das Christentum die Religion ist, die ihren eigenen Glauben am meisten schmäht. Für die anderen Religionen ist Christus immerhin noch ein grosser Lehrer oder Prophet, aber leider wird Er von den Christen selbst verlästert. Gottesdienste werden zur Show, und Verkündiger weigern sich, von der Gerechtigkeit Gottes, Sünde, Kreuz, Jesu Blut oder Sündenbekenntnis zu sprechen.

Stephan Beitze ist Missionar des Mitternachtsruf in Buenos Aires, Argentinien. Als Bibellehrer widmet er sich überwiegend dem Bibelunterricht in Gemeinden, an Bibelschulen, Jugendfreizeiten, Konferenzen usw.
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