Habakuk: Gottes Antwort auf unsere Fragen

Der jüdische Prophet Habakuk kann Gottes Handeln nicht verstehen. Nach einem Zwiegespräch mit dem Herrn stimmt er ein Lobgebet an. Eine Lektion für uns.

Wenn wir das Buch Habakuk mit den übrigen Propheten vergleichen, stellen wir fest, dass sich Aufbau und Stil des Buches in vielfacher Hinsicht von denen der anderen Propheten unterscheidet. Denn Habakuk weissagt nicht nur, er fragt und hinterfragt. Die ersten beiden Kapitel sind praktisch ein Zwiegespräch zwischen Habakuk und Gott, zwischen einem ratlosen und verwirrten Propheten und seinem souveränen Schöpfergott. Und das kann eine Ermutigung für uns sein. In aller Verzweiflung und bei aller Ratlosigkeit sollten wir nicht aufhören, zu beten und zu fragen. «Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet werden!» (Lk 11,9).

Habakuk klopfte an und Gott öffnete ihm die Tür. Es begann ernüchternd mit: «Wie lange, o Herr, rufe ich schon, ohne dass du hörst! Ich schreie zu dir wegen des Unrechts, und du hilfst nicht» (Hab 1,1-2). Und es endete mit: «Ich aber will mich freuen in dem Herrn und frohlocken über den Gott meines Heils! Gott, der Herr, ist meine Kraft; er macht meine Füsse denen der Hirsche gleich und stellt mich auf meine Höhen! Dem Vorsänger, auf meinen Saiteninstrumenten» (Hab 3,18-19).

Was für eine Wende, was für ein Kontrast! Die Parallelen zu Hiob und den Psalmen Davids sind so offensichtlich, dass das Prophetenwort Habakuks genauso gut zur Weisheitsliteratur zählen könnte.

Das, was Habakuk seinerzeit beklagte und verzweifeln liess, war das Unrecht in seinem Volk Juda. Im ganzen Land, und vor allem in Jerusalem, herrschten die widerwärtigsten Zustände. Diese Abscheulichkeiten liessen Habakuk die Fragen aufwerfen: «Warum siehst Du, Gott, diesem verächtlichen Treiben tatenlos zu? Wie kannst Du das alles zulassen?» Zumal ein gläubiger Überrest im Volk, zu dem Habakuk ja zählte, unter dieser Gottlosigkeit litt. Und das ist doch heute nicht anders. Wer unseren Herrn und Heiland liebt, leidet mit, wenn der Name Gottes durch den Schmutz gezogen und unser Herr Jesus verächtlich gemacht wird.

Tut es uns nicht weh, wenn wir sehen, dass die Heilige Schrift nicht nur nicht beachtet, sondern sogar ins Lächerliche gezogen wird? Schmerzt es uns nicht, wenn wir sehen, dass die Gebote Gottes mit Füssen getreten und regelrecht bekämpft werden? Kommen uns keine Tränen mehr, wenn das Böse zur Norm wird und selbst die Kirchen sich dem Zeitgeist unterwerfen?

Habakuk stellte Fragen, wie sie die Menschen heute auch stellen. Gerade Christen fragen sich so manches Mal, warum Gott schweigt und ihre Gebete nicht erhört. Warum setzt Gott dem massenhaften Töten der ungeborenen Kinder kein Ende? Warum setzt Gott Könige und Regierungen ein, die Ihn, den allmächtigen Schöpfer, mit Verachtung strafen? Warum lässt Gott es zu, dass gerade Seine Kinder weltweit ausgegrenzt, verfolgt und getötet werden und es fast niemanden interessiert?

Habakuk spricht in seiner Ratlosigkeit davon, dass er bereits – wer weiss, wie lange schon – gebetet und «um Hilfe geschrien hat» und Gott nicht hört (Hab 1,2). Fragen und Zweifel sind erlaubt. Es stellt sich lediglich die Frage, an Wen wir uns mit all unseren Sorgen, Zweifeln und Fragen wenden. Habakuk geht zu Gott und hat damit schon einmal die richtige Verbindung. Und Gott antwortet dem fragenden, aufgewühlten und verzweifelten Propheten: «Seht euch um unter den Heidenvölkern und schaut umher; verwundert und entsetzt euch! Denn ich tue ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn man es erzählte! Denn siehe, ich erwecke die Chaldäer, ein bitterböses und ungestümes Volk, das die Weiten der Erde durchzieht, um Wohnsitze zu erobern, die ihm nicht gehören» (Hab 1,5-6).

Gottes Handeln, in welcher Form und wann auch immer, lässt die Menschen staunen, stutzen, überraschen, und nicht selten, auch entsetzen. Wenn Gott handelt, dann ist das mit nichts zu vergleichen. Wer auch nur annähernd Zeuge einer Naturgewalt wurde – sei es einem Erdbeben, einer Lawine, einer Flut, eines heftigen Unwetters oder auch eines Vulkanausbruchs –, der hat vielleicht eine kleine, aber auch wirklich nur klitzekleine Ahnung von dem, was es bedeutet, wenn Gott redet. «O Mensch, wer bist denn du, dass du mit Gott rechten willst? Spricht etwa auch das Gebilde zu dem, der es geformt hat?» (Röm 9,20).

Ja, es bleibt nur noch Verwundern und Entsetzen, wenn Gott Sein Schweigen bricht. Schon manch einem Spötter ist seine spitze Zunge im Hals stecken geblieben, als er mit dem Ewigen konfrontiert wurde. Gottes Antwort auf Habakuks verzweifelte Frage lautet: Das Gericht wird kommen! Das, was bereits unter dem Propheten Micha über 100 Jahre zuvor prophezeit wurde, sollte sich in den Tagen Habakuks erfüllen, und zwar unaufhaltsam (Hab 1,7-11). Aber Gottes Antwort wirft bei Habakuk eine neue Frage auf. Wieso gebraucht Gott ausgerechnet so ein gottloses, grausames und verdorbenes Volk wie die Chaldäer, um die Gottlosigkeit Judas zu bestrafen (Hab 1,13)?

Bei allem Frevel und aller Gottlosigkeit war Juda letztlich immer noch gerechter als die Chaldäer bzw. Babylonier. Man sollte doch erwarten, dass Juda gerichtet wird durch ein Volk, das den Herrn aller Herren anbetet und gottwohlgefällig lebt. Oder noch besser, durch das Kommen des Messias. Aber nein, genau das Gegenteil ist der Fall, ein noch gottloseres Volk, ein Volk, dessen Gott seine eigene Kraft ist, zieht der Herr heran, um das abtrünnige Juda zu richten. Gott handelt ganz anders, als wir Menschen es womöglich tun würden (vgl. Jes 55,8-9). Ja, da kommen wir manchmal nicht mit. Und dessen müssen wir uns noch nicht einmal schämen, denn Hiob, David oder Habakuk erging es nicht anders. Auch sie kamen nicht mehr mit. Aber sie wurden allesamt an einen Punkt geführt, wo sie Gott nur noch loben und preisen konnten.

Wie hat es Hiob gesagt? «Ich erkenne, dass du alles vermagst, und dass kein Vorhaben dir verwehrt werden kann … Fürwahr, ich habe geredet, was ich nicht verstehe, Dinge, die mir zu wunderbar sind und die ich nicht begreifen kann!» (Hiob 42,1-6). Und David, was durfte er bezeugen? «Ich will dem Herrn danken für seine Gerechtigkeit, und dem Namen des Herrn, des Höchsten, will ich lobsingen» (Ps 7,18).

Gott ist souverän in Seinem Handeln, heilig und gerecht. Und in Seiner Souveränität benutzt Gott fremde, ja sogar gottlose Mächte, um Sein auserwähltes Volk zu züchtigen. Vielleicht sagte Er damit: «Ihr seid nicht besser als die Heiden und götzendienerischen Nationen. Bildet euch nichts auf eure Erwählung und euren Opfer- und Gottesdienst ein. Ihr habt doch nur einen Schein von Frömmigkeit, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit. Und damit unterscheidet ihr euch in nichts von dem Götzendienst der Heiden.» Das ist genau das, was Jahrhunderte später der Herr Jesus der religiösen Elite Israels zu verstehen gab (Mt 23,27-28). Dieses Mahnwort hat in der Zeit von Habakuk seine Berechtigung, zur Zeit des Herrn Jesus und heute in gleicher Weise, und das nicht nur in Israel, wie Gott sagt: «Schreibe die Offenbarung nieder und grabe sie in Tafeln ein, damit man sie geläufig lesen kann!» (Hab 2,2).

In Kapitel 2 macht Gott deutlich, dass auch die Babylonier, wie schon die Assyrer zuvor, gerichtet werden. Und diese Tatsache gilt letztendlich allen Nationen – jedoch alles zu seiner Zeit und so wie Gott es beschlossen hat. «Denn die Offenbarung wartet noch auf die bestimmte Zeit, und doch eilt sie auf das Ende zu und wird nicht trügen. Wenn sie sich verzögert, so warte auf sie, denn sie wird gewiss eintreffen und nicht ausbleiben» (Hab 2,3).

Mit anderen Worten: «Warte, sei geduldig, glaube und vertraue!» Genau dieses Prinzip des Wartens, der Geduld, des Ausharrens und des Vertrauens wird im Hebräerbrief auch auf die Wiederkunft des Herrn Jesus angewandt: «Denn standhaftes Ausharren tut euch not, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheissung erlangt. Denn noch eine kleine, ganz kleine Weile, dann wird der kommen, der kommen soll, und wird nicht auf sich warten lassen. Der Gerechte aber wird aus Glauben leben» (Hebr 10,36-38a).

Und das ist die Lösung aller Fragen, Zweifeln und Ratlosigkeiten: «Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben» (Hab 2,4). Und der Glaube beinhaltet ein unerschütterliches Vertrauen in Gott, selbst in Dingen, die wir nicht verstehen. Peter Hahne sagte einmal: «Vertrauen heisst: Mit Fragen leben, auf die es keine Antworten gibt.»

Denken wir an Hiob, denken wir an David – wurden deren verzweifelte Fragen alle beantwortet? Nein, aber sie wurden in den Glauben geführt und sie haben schlussendlich auf Gott vertraut. Und genau dasselbe sollte nun auch Habakuk erleben. Gott zeigt ihm auf: Babylon wird das ernten, was es gesät hat (Hab 2,5ff.). Nach fünf Weherufen über die Babylonier reagiert Habakuk mit einem Gebet, das einem Lobgesang entspricht, ganz im Stil der Psalmen. «Herr, ich habe deine Botschaft vernommen. Ich habe, Herr, dein Werk gesehen» (Hab 3,2a).

Habakuk gibt sich nicht nur mit der Antwort Gottes zufrieden, sondern er unterwirft sich mit Haut und Haaren dem Willen Gottes. Er erkennt Gottes Ratschlüsse an und darf erfahren, dass Gott die Fäden der Heils- und Weltgeschichte in Seinen Händen hält. Und er ruft aus: «Inmitten der Jahre verwirkliche es, inmitten der Jahre mache es offenbar!» (Hab 3,2b).

Habakuks Hoffnung und Flehen ist es, dass Gott alsbald und schnell, in naher Zeit, all das erfüllen wird, was Er in Seinem Ratschluss beschlossen hat. Geht es uns nicht ähnlich? Hoffen nicht auch wir, dass unser Herr Jesus bald kommt, um mit uns, mit Seiner Gemeinde, zum Ziel zu kommen? Sehnen wir uns nicht nach dem neuen Himmel und der neuen Erde, in denen Gottes Gerechtigkeit wohnt (2Petr 3,13).

Und dann heisst es noch weiter: «Im Zorn gedenke des Erbarmens!» (Hab 3,2c). Habakuk weiss, wie alle anderen Propheten auch, dass Gott in Seinem Zorn dennoch ein gnädiger und barmherziger Gott ist und dass all Seine Strafgerichte zielgerichtet und keineswegs willkürlich sind. Die folgenden Verse sind dann ein Lobgesang auf den einzigartigen Schöpfergott, der darin gipfelt, dass Habakuk gar nicht mehr aus dem Jubeln und Frohlocken herauskommt. Denn Habakuk weiss, Gott ist gerecht. In Seinem Zorn ist der Herr auch ein Erbarmer, der mit dem gläubigen Überrest weiter Geschichte schreiben wird.

Was mit einem Fragezeichen begann, endet mit einem dicken fetten Ausrufezeichen. Aus einem verzweifelten «Warum» wird ein jubelndes «Wer». Wer herrscht? Wer handelt? Wer richtet? Wer hält die Fäden der Heilsgeschichte in Seinen Händen? Gott, der allmächtige, heilige und gnädige Schöpfer, der sich uns in Seinem Sohn Jesus Christus offenbart hat. Das ist die Ermutigung für uns heute: Wir dürfen in der Gewissheit leben, dass unser Gott, den wir «Abba, lieber Vater» nennen dürfen, alles unter Kontrolle hat.

Die Antwort Gottes auf die zweifelnden und brennenden Fragen Habakuks ist eine Botschaft für alle Welt: «Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.» Der Glaube ist die Antwort und das Vertrauen auf Gottes Wege ist die Lösung. «Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?» (1Joh 5,4-5).

Und bei dieser Perspektive haben wir wahrlich allen Grund, es Habakuk gleichzutun und in seinen Lobpreis miteinzustimmen: «Ich aber, ich will in dem Herrn jubeln, will jauchzen über den Gott meines Heils. Der Herr, der Herr, ist meine Kraft» (Hab 3,18-19).

Thomas Lieth ist Mitarbeiter und Verkündiger des Mitternachtsruf. Er absolvierte seine theologische Ausbildung an der Bibelschule Neues Leben in Wölmersen/Deutschland. Sein Aufgabenbereich ist die Verlagsarbeit des Missionswerkes.
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