Geht das christliche Abendland unter? (Teil 2)

Heute ist es so schlimm wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Die Gesellschaft gibt das Christentum auf. Das Verderben lauert vor der Tür. Wirklich? Eine Untersuchung.

Der wissenschaftliche und kulturelle Fortschritt sichert dem modernen Menschen einen nie dagewesenen Wohlstand, eine verhältnismässig grosse Sicherheit und insgesamt ein längeres und gesünderes Leben als noch vor 100 Jahren. Die Cäsaren würden vor Neid platzen, wenn sie wüssten, wozu der «einfache Pöbel» mit seinen Smartphones und Kreditkarten in der Lage wäre. 

In der Antike bzw. zur Zeit der Apostel war die Frage nach einem glücklichen Leben kaum ein Thema in der Gesellschaft. Deshalb lesen wir nichts über Glücklichsein in der Heiligen Schrift. Leid war ein normaler Bestandteil des Lebens. Jeder wusste: «Das Unglück wird mich treffen.» Und darum beschäftigten sich die Theologen und Philosophen ihrer Zeit weniger mit dem Streben nach Glück, sondern mehr mit dem Streben nach dem bestmöglichen Leben trotz unglücklicher Umstände. 

Heute wird Glück als höchstes Menschengut betrachtet. Leiden ist für uns nicht mehr normal. Wenn uns etwas Schlimmes passiert, dann ruft das grösste Verwunderung hervor, ja, auch bei uns Christen. Noch nie hat eine Gesellschaft so erfolgreich danach gestrebt, glücklich zu sein, wie die moderne westliche. Und noch nie war die Glaubensfreiheit so gross wie heute. 

Verkündigen Sie einmal im christlichen Abendland des Mittelalters, dass Sie glauben, die wahre Gemeinde sei nicht sichtbar, sondern bestehe nur aus denen, die im Herzen glaubten, und dass ihr Gewissen nicht von den kirchlichen Autoritäten gebunden werden dürfte. Eine vergleichsweise harmlose Aussage, würden wir heute sagen – aber in Zeiten, als das Christentum «ernst» genommen wurde, konnten solch revolutionäre Gedanken einen unter Umständen auf den Scheiterhaufen bringen. 

Ja, das christliche Abendland geht unter. Kaum jemand – und schon gar keine Regierung – nimmt religiöse Dogmen mehr ernst. Und davon profitieren Gottlose, Islamisten, aber auch ernsthafte Gläubige, die ihr Christentum frei leben können, ohne dass eine übereifrige Regierung ihnen vorschreibt, was sie zu glauben haben. Trotzdem sollten wir den Untergang des christlichen Abendlands bedauern.

Bei allem, was früher schlechter war, so war doch eines besser: Gott wurde ernst genommen. Und, bei allem Respekt für alle Menschen: Das ist wichtiger, als dass sich jeder einzelne Mensch in seinen individuellen Ticks bestätigt und glücklich fühlt. Leider ist es so: Wir geniessen momentan Freiheit und Wohlstand, gerade weil moralische und ethische Schranken fallen. Doch das unersättliche Streben nach Glück – ohne Gott, ohne Moral –, das unsere Gesellschaft prägt, wird dazu führen, dass der unausstehliche Endzeitmensch von 2. Timotheus 3,1-8 zur gesellschaftlichen Norm wird. Und das hat negative Auswirkungen. «Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?» (Mt 16,26).

Dem moralischen Abwärtstrend können wir nur eines entgegenhalten: das Evangelium von Jesus Christus. Es ist immer noch Gottes Kraft, die Menschenherzen verändern kann. Vielleicht glauben Sie nicht an eine Besserung der Umstände. Macht nichts. Luther hat’s auch nicht getan. Und trotzdem hat er das Evangelium verkündigt. Und trotzdem hat das Evangelium Veränderung gebracht. – Was Gott der Herr vor Tausenden Jahren Israel zurief, gilt auch heute in Christus Jesus allen Menschen (Eph 2,13; 3,6):

«Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schliessen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende» (Jes 55,1-11).

Natürlich war und ist es immer so, dass in der Gemeinde Gottes Weizen und Unkraut wachsen (Mt 13,25-30). In jeder christlichen Glaubensgemeinschaft finden wir Licht und Schatten – in der einen mehr Schatten, in der anderen mehr Licht (vgl. Offb 2-3). Aber je mehr in aller Welt das Evangelium verkündigt wird, desto mehr wird alle Welt in positiver Weise in Aufruhr gebracht werden (vgl. Apg 16,20; Mt 28,18-20). 

Ja, die Zeiten werden schlimmer, je näher das Ende kommt (2.Tim 3,1), aber diese Wahrheit ist für Christen kein Grund, lethargisch und mutlos zu werden. Im Gegenteil: Wenn uns etwas an unserem Nächsten liegt, sollten wir dem Niedergang entgegentreten und das Evangelium erst recht verkündigen, nämlich die Botschaft, dass Jesus Christus allein Herr ist. Diese Wahrheit ist und bleibt Gottes Kraft für alle Welt (Röm 1,16), bis Christus kommt und Sein Reich für Israel aufrichtet (Mt 19,28). Und da es keinem von uns gebührt, den (ungefähren) Zeitraum oder die (genaue) Stunde zu wissen (Apg 1,6-7), kann keiner von uns sagen: «So böse sind die Tage jetzt, dass sich die Verkündigung des Evangeliums nicht mehr lohnt.»

Gottes Kraft bleibt eine Kraft, solange die Träger Seines Heiligen Geistes bereit sind, für Ihn zu leben, Ihn zu verkündigen und Ihn zu verherrlichen. 

Damit ist die Frage nicht beantwortet, ob das christliche Abendland untergeht. Erst einmal würde der Zyniker fragen: «War es jemals christlich?» Ja, war es – in all seiner Unvollkommenheit. Selbst falls sich kaum jemand daran gehalten hätte, galten doch die christlichen Prinzipien als moralisch bindend. Und das ist heute tatsächlich nicht mehr der Fall. Aber war die Welt früher deshalb in jeder Hinsicht besser? Nein.

Ein Augenöffner ist das Buch «Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen» des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Der gute Mann ist durch und durch gottlos, aber das heisst nicht, dass er nicht Fakten zusammentragen könnte. Seine Zukunftsperspektive ist nicht unbedingt optimistisch, aber eines macht er deutlich: Vieles ist heute besser geworden. Statistisch gesehen sterben mehr Menschen an Über- bzw. Falschernährung als an Unterernährung (!). Seuchen, Naturkatastrophen, verheerende Kriege, Kindstod und Hungersnöte sind ein stückweit eingedämmt worden (teilweise sogar nahezu vollständig).

René Malgo ist Mitarbeiter im Redaktionsbereich des Missionswerkes Mitternachtsruf. Er ist verheiratet mit Wanda und hat 4 Kinder. Sein Sachgebiet umfasst das Redigieren von Büchern sowie das Zusammenstellen der Artikel für die beiden Zeitschriften «MNR» und «NAI». Er ist Autor verschiedener Publikationen.
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