Das Kreuz und die Endzeit (Teil 1)

Als Christus in Israel erschien, rechnete das jüdische Volk mit einem starken Retter, der die römische Besatzermacht vertreiben und die Weltherrschaft antreten würde. Stattdessen kam Christus in einer Krippe zur Welt und starb am Kreuz. Was bedeutet diese überraschende Wendung für unser Leben, unseren Alltag und die Endzeit?

Jemand, der mit seelisch gebrochenen Menschen arbeitet, sagte einmal: «Viele Christen, die in die Gemeinde gehen, glauben in ihrem tiefsten Herzen gar nicht, dass Gott sie liebt.» – Sie können es einfach nicht glauben. Sie fühlen sich zu dreckig für Gott. Gott fühlt sich für sie zu fern, zu anders, zu unnahbar an. 

Der lebendige Gott spricht: «So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken» (Jes 55,9). Gott ist höher und anders als wir Menschen. Er ist Gott, «und sonst keiner, ein Gott, dem nichts gleicht» (Jes 46,9). Vor Ihm «ist kein Gott gemacht» und nach Ihm wird auch keiner sein. Er ist der Herr (Jes 43,10-11). Er hat «weder einen Anfang noch ein Ende […]. Er verleiht allen Dingen Dasein, sich selbst Unendlichkeit […] Er regiert durch sein Wort alles, was ist, ordnet es durch seine Vernunft und vollendet es durch seine Macht. Man kann ihn nicht sehen; er ist zu licht für das Auge. Ebensowenig kann er betastet werden, denn er ist für die Berührung zu fein; auch nicht gemessen werden, denn er ist über unsere Sinne erhaben, unendlich, unermesslich und nur sich selbst in seiner ganzen Grösse bekannt. Unser Herz aber ist zu beschränkt, um ihn zu begreifen …» (Minucius Felix, Octavius 18,7-9). Er ist «ein verzehrendes Feuer, ein eifernder Gott» (5.Mo 4,24). Seine «Augen sind zu rein», als dass Er «Böses ansehen» könnte (Hab 1,13). Und «schrecklich ist’s, in die Hände» dieses «lebendigen Gottes zu fallen» (Hebr 10,31). Das ist Gott. 

Glauben wir wirklich, dass dieser unbegreifliche und grosse Gott uns lieben kann?

Ja, und den Beweis dafür sehen wir in dem Herrn Jesus Christus, und zwar in Christus, dem Gekreuzigten, «den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit» (1.Kor 1,23) – wie Paulus den Korinthern schreibt: «Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen, als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten» (1.Kor 2,2).

Warum steht und fällt alles mit unserem gekreuzigten Herrn? Weil sich Gott gerade da offenbart, und zwar auf eine überraschende Weise. In Bezug auf die Endzeit und die biblische Prophetie sollten wir das Folgende bedenken: Als Jesus auf die Welt kam, sagten die Engel Gottes, dass der Herr geboren worden war (Lk 2,11). «Herr» wird im Neuen Testament in Bezug auf Jesus als Gottestitel verwendet (vgl. Lk 1,43). Später sagte der Jünger Thomas denn auch zu Jesus: «mein Herr und mein Gott» (Joh 20,28). Jesus ist der Herr. Er ist Gott. Das ist eines der grossen Geheimnisse des christlichen Glaubens: Gott wurde in der Person Jesus Christus ein Mensch. «Und gross ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch …» (1.Tim 3,16).

Gott hat sich selbst offenbart, als Er in Seinem Sohn Jesus Christus ein Mensch aus Fleisch und Blut wurde. Und als das geschah, stellte Gott alle menschlichen Erwartungen und auch Ideen über Ihn auf den Kopf. Ja, die Propheten des Alten Bundes hatten das Kommen des Messias und das Kommen Gottes angekündigt. Aber wer konnte ahnen, dass Er so kommen würde?

Wie kam Gott denn damals auf die Erde? Jedes Weihnachtsfest erinnern wir daran: Er kam durch den Mutterleib einer jungen jüdischen Frau, eines einfachen Mädchens. Sie war unbedeutend. Sie gehörte nicht zu den Familien, die damals in Israel den Ton angaben. Sie kam nicht vom herrschenden Adel, nicht von den Herodianern, nicht von den Pharisäern, nicht von den Sadduzäern. Ihr Mann war ein Handwerker, kein Schriftgelehrter – oder, mit modernen Worten ausgedrückt: er war kein Theologe, kein Professor, kein Präsident, kein Vorstandsmitglied.

Und Jesus, der menschgewordene Gott? Weil in einem normalen Zimmer kein Platz für Ihn war, wurde Er als frischgeborenes Baby erst einmal in eine Futterkrippe für Tiere gelegt. Das war nicht sonderlich steril. Und gut gerochen hat die Krippe sicher auch nicht. Gott der Sohn kam in Armut auf die Welt. Er wuchs als Zimmermannssohn auf. Und 30 Jahre lang hörte man so gut wie nichts von Ihm. Er führte ein schlichtes und einfaches Leben unter schlichten und einfachen Menschen. – Hätten Sie sich so die Erscheinung Gottes auf der Erde vorgestellt oder sie so geplant? 

Viele Christen brechen so schnell den Stab über die Juden, weil sie Jesus abgelehnt haben und viele Ihn immer noch ablehnen. Aber stellen wir uns die Situation damals vor: Die jüdischen Propheten haben angekündigt, dass Gott kommen und mitten unter Seinem Volk wohnen und herrschen würde. Sie haben von Macht und Herrlichkeit gesprochen. Und das hatte Israel auch erwartet. Doch Gott stellte mit dem Kommen des Herrn Jesus alles auf den Kopf, was man sich unter Seiner Erscheinung und unter Seiner Macht und unter Seiner Herrlichkeit vorstellen könnte. 

Und als Jesus dann öffentlich auftrat, tat Er nichts lieber – so scheint es – als immer wieder die religiöse Elite Israels vor den Kopf zu stossen. Wir neigen dazu, in den Evangelien schnell darüber hinwegzulesen, aber nur ein Beispiel: Da ging der Herr in die Synagoge, las eine Stelle über die Erscheinung des Messias und Retters Israels vor, und Er erklärte, dass Er die Erfüllung ist (Lk 4,16-21; Jes 61,1-2). Die Juden verwunderten sich «über die Worte der Gnade, die aus seinem Munde kamen» (Lk 4,22). Und wie reagierte der Herr Jesus dann darauf? Er nahm ihre Verwunderung nicht zum Anlass, um schöne Dinge zu sagen und um diese Juden für sich zu gewinnen. Er wusste bereits, dass sie Ihn später ablehnen würden. Stattdessen beleidigte Er sie, indem Er sprach:

«Aber wahrhaftig, ich sage euch: Es waren viele Witwen in Israel zur Zeit des Elia, als der Himmel verschlossen war drei Jahre und sechs Monate und eine grosse Hungersnot herrschte im ganzen Lande, und zu keiner von ihnen wurde Elia gesandt als allein nach Sarepta im Gebiet von Sidon zu einer Witwe. Und viele Aussätzige waren in Israel zur Zeit des Propheten Elisa, und keiner von ihnen wurde rein als allein Naaman, der Syrer» (Lk 4,25-27).

Die Witwe von Sidon war eine Heidin, eine Nichtjüdin. Naaman, der Syrer, war ein Heide, ein Nichtjude. Die Heiden waren in den Augen der religiösen jüdischen Elite geistlicher Abschaum. Sie gehörten nicht zu Gott. Sie waren nichts. Und nun rieb Christus Seinem Volk gewissermassen unter die Nase, dass sich Gott ja schon früher lieber um zwei verachtete Heiden gekümmert hatte, als um die vielen Witwen und Aussätzigen in Israel selbst. Das sind sehr harte Worte. Kein Wunder – menschlich gesprochen –, dass die Juden den Herrn danach steinigen wollten (Lk 4,28-30).

Und so ging es weiter. Christus erwählte zwölf ganz normale Israeliten als Seine Apostel. Da war keiner von der religiösen Elite dabei. Das waren Fischer, die geistlich gesehen langsam von Begriff waren. Unter ihnen zwei hitzköpfige Brüder, die «Donnersöhne» Jakobus und Johannes, oder der vorlaute Petrus. Dann war da ein Zöllner dabei, bekannt für seine Betrügereien und in ganz Israel gehasst und verachtet. Da war auch ein sogenannter Zelot dabei, ein Freiheitskämpfer – das bedeutet, einer, der Anschläge auf die römischen Besatzer verübt hatte. Heute würde man sagen: ein Terrorist. 

Und das ist noch längst nicht alles. Jesus ass zu Abend bei den Zöllnern und Sündern – bei denen, die von der religiösen Elite verachtet wurden. Und der Herr nannte die vermeintlich frommen Starprediger und Supertheologen seiner Zeit «Otterngezücht» (Mt 12,34) und übermalte Gräber (Lk 11,14). Er nahm Huren an und kümmerte sich, als Er allein war, um eine Ehebrecherin am Brunnen – ohne Rücksicht auf Seinen guten Ruf.

René Malgo ist Mitarbeiter im Redaktionsbereich des Missionswerkes Mitternachtsruf. Er ist verheiratet mit Wanda und hat 4 Kinder. Sein Sachgebiet umfasst das Redigieren von Büchern sowie das Zusammenstellen der Artikel für die beiden Zeitschriften «MNR» und «NAI». Er ist Autor verschiedener Publikationen.
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