Woher kommt das Böse?

Gott ist der Schöpfer aller Dinge, und doch nicht verantwortlich für das Böse (Jak 1,13). Woher kommt die Sünde aber dann? Eine Erklärung.

Die Bosheit existiert nicht für sich wie irgendein Lebewesen. Auch können wir sie nicht als selbstständiges Wesen darstellen. Vielmehr ist das Böse Mangel des Guten. Das Auge wurde geschaffen. Blindheit aber entstand erst durch den Verlust der Augen. Wäre das Auge nicht von hinfälliger Natur, dann hätte die Blindheit nicht eintreten können. So hat auch das Böse kein eigenes Dasein, sondern ist eine Folgeerscheinung von Verwundungen der Seele. 

Auch ist das Böse nicht «ungeschaffen», wie die Gottlosen behaupten, die die böse Natur der guten gleichstellen – als wären beide ohne Anfang und älter als die Schöpfung, noch ist es «geschaffen». Denn wenn alle Dinge von Gott sind, wie kommt dann das Böse vom Guten? Entsteht doch auch das Hässliche nicht aus dem Schönen, noch das Laster aus der Tugend (vgl. Mt 7,18). Lies über die Schöpfung der Welt nach, und du wirst finden, dass alles «gut» und «sehr gut» war  (1.Mo 1,4.10.12.18.21.25.31). Folglich ist das Böse nicht zugleich mit dem Guten geschaffen worden. 

Gleichermassen ist auch die unsichtbare Schöpfung vom Schöpfer ohne Beimischung von Bosheit ins Dasein gerufen worden. «Aber das Böse existiert doch», sagen die Kritiker, «und zeigt seine starke Auswirkung im ganzen Leben». Woher hat es nun sein Dasein, wenn es weder ohne Anfang ist noch geschaffen wurde?

Wir wollen jenen, die so fragen, die Gegenfrage stellen: Woher kommen die Krankheiten? Woher die Gebrechen des Leibes? Die Krankheit ist doch weder ungeschaffen noch eine Schöpfung Gottes. Den Leib hat Gott geschaffen, nicht die Krankheit; und die Seele hat Gott geschaffen, nicht die Sünde. Die Seele aber wurde verschlechtert, als sie untreu wurde. Worin bestand ihr hauptsächliches Gut? In der Verbindung mit Gott und in der Vereinigung mit Ihm durch die Liebe. Nachdem sie diese verloren hatte, wurde sie durch allerlei Krankheiten verderbt. Warum war sie aber überhaupt für das Böse empfänglich? Weil sie einen freien Antrieb hat, der gerade einem vernünftigen Wesen zukommt. 

Adam stand einst hoch erhaben da, nicht räumlich, sondern kraft seines Willens, da er, mit einer Seele ausgestattet, zum Himmel aufschaute, hocherfreut über die Dinge, die er sah, voll Liebe gegen seinen Wohltäter. Gott hatte ihm den Genuss des ewigen Lebens verliehen, ihn in die Wonne des Paradieses versetzt, ihm wie den Engeln Herrschaft gegeben, ihn zum Tischgenossen der Erzengel und zum Hörer göttlicher Stimme gemacht. Darüber hinaus stand er unter dem besonderen Schutz Gottes und erfreute sich Seiner Güter. Aber bald wurde er all dieser Dinge satt und – als sei er durch Übersättigung übermütig geworden – stellte er das, was dem fleischlichen Auge verlockend schien, über die Schönheit der geistigen Welt. Er achtete die Sättigung des Bauches höher als die himmlischen Genüsse. So wurde er aus dem Paradies verstossen, und vorüber war es mit dem glückseligen Leben, weil er nicht aus Zwang, sondern aus Torheit böse geworden war.

Er sündigte aus freiem bösem Willen, und starb infolge seiner Sünde (1.Mo 3,6.17-19). «Denn der Sünde Sold ist der Tod» (Röm 6,23). So weit er sich vom Leben entfernte, ebenso stark näherte er sich dem Tod. Gott ist ja das Leben; Beraubung des Lebens aber ist der Tod. Folglich verschuldete Adam seinen Tod durch seine Abkehr von Gott, wie geschrieben steht: «Denn siehe, die von dir weichen, werden umkommen» (Ps 73,27). So hat nicht Gott den Tod erschaffen, sondern wir haben ihn uns durch unsere verdorbene Gesinnung selbst zugezogen. 

Gott hat aber unsere Auflösung durch den Tod nicht verhindert, damit die Krankheit der Sünde nicht unsterblich würde (vgl. 1.Mo 3,22). Niemand bringt ja ein rinnendes Töpfergeschirr zur Fertigstellung ans Feuer, wenn er nicht zuvor die schadhafte Stelle an ihm durch Umformung ausgebessert hat.  

«Aber warum hatten wir», sagt man, «bei unserer Erschaffung nicht einfach das Unvermögen, zu sündigen, sodass wir, selbst wenn wir wollten, nicht sündigen könnten?» – Du siehst doch auch diejenigen, die für dich arbeiten, nicht für gutgesinnt an, wenn du sie in Ketten hältst, sondern wenn sie freiwillig ihre Pflicht dir gegenüber erfüllen. So ist auch Gott nicht die erzwungene Leistung lieb, sondern die Tugendübung. Die Tugend ist aber Sache freier Entschliessung, nicht Folge natürlicher Nötigung. Die freie Entschliessung aber steht bei uns. Wer also den Schöpfer tadelt, dass Er uns von Natur nicht unfähig zur Sünde geschaffen hat, stellt die unvernünftige Natur höher als die vernünftige und die bewegungs- und willenlose höher als die frei tätige.  

Hören wir auf, den Weisen verbessern zu wollen! Hören wir auf, nach etwas Besserem zu suchen, als was Er verfügt! Sind uns auch die Gründe für Seine einzelnen Anordnungen unbekannt, so soll doch wenigstens der eine Glaubenssatz bei uns feststehen, dass vom Guten nichts Böses kommt (vgl. Jes 5,20).

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