Müssen wir die Prophetie wirklich wörtlich verstehen? (Teil 2)

Die wörtliche Auslegung der biblischen Prophetie und die damit verbundene Lehre von der Entrückung vor der Trübsal ist oft starker Kritik ausgesetzt. Eine Darlegung und Stellungnahme.

Allegorische Ausleger nehmen Aussagen wie «der Berg des Hauses des Herrn», «alle Heiden werden zu ihm strömen», «viele Völker» und «zum Haus des Gottes Jakobs» und sagen, diese Stelle würde die Bekehrung der Nationen zum christlichen Glauben und ihre Hinzufügung zur christlichen Gemeinde lehren. Ein solches Verständnis lässt sich in dieser Passage überhaupt nicht finden. Derartige Gedanken müssen von ausserhalb in den Text hineingelegt werden. Wenn das geschieht, kommt eine nicht wörtliche Auslegung zustande.

Eine wörtliche Auslegung dieser Stelle finden wir in der Tim LaHaye Prophecy Study Bible:

«Jesaja sieht das Zeitalter des Reiches Gottes, wenn die Nationen der Welt zur heiligen Stadt (Jerusalem) kommen werden, um die Wege Gottes zu lernen. Christus selbst ist der Richter, der die Angelegenheiten der Nationen regeln wird, und es wird Frieden herrschen. Dann werden die Werkzeuge des Krieges und des Blutvergiessens in Werkzeuge des Friedens und Wohlstands umfunktioniert.»

Das ist eine wörtliche Auslegung, weil sie Jerusalem als Jerusalem versteht und dergleichen. Das ist mit dem System der wörtlichen Bibelauslegung oder Hermeneutik gemeint.

Dr. Charles Ryrie, ein Verfechter der wörtlichen Auslegung, stellt fest, dass die wörtliche Auslegung dasselbe ist wie die grammatisch-historische Auslegungsmethode:

«Manchmal wird diese Grundregel auch das Prinzip der grammatisch-historischen Auslegung genannt, da die Bedeutung jedes Wortes von grammatischen und historischen Faktoren bestimmt ist. Man könnte dieses Prinzip auch als normale Auslegung bezeichnen, denn in allen Sprachen stellt der Literalsinn von Wörtern den normalen Ansatz zu ihrem Verständnis dar. Ebenso könnte sie auch einfache Auslegung genannt werden, damit niemand auf den falschen Gedanken kommt, das Literalprinzip würde Redewendungen und rhetorische Figuren ausschliessen.»

Das wörtliche System der Schriftauslegung bezieht die folgenden Elemente eines Textes in seine Überlegungen ein: Grammatik, geschichtlicher Hintergrund, Kontext und Semantik. Jeden dieser Aspekte wollen wir uns einmal näher anschauen.

Grammatik. Der grammatische Aspekt der wörtlichen Auslegung berücksichtigt die Wirkung, die die Grammatik auf eine Passage hat. Das bedeutet, wenn wir einen Text studieren, sollten wir die grammatischen Beziehungen von Worten, Ausdrücken und Sätzen zueinander korrekt analysieren. Der Literalausleger Roy Zuck schrieb:

«Wenn wir von der grammatischen Auslegung der Bibel sprechen, meinen wir den Prozess, ihre Bedeutung anhand von vier Punkten bestimmen zu wollen: a) die Bedeutung der Wörter (Lexikologie), b) die Form der Wörter (Morphologie), c) die Funktion der Wörter (als Wortart oder Satzteil) und d) das Verhältnis der Worte zueinander (Syntax).»

Dr. Zuck lehrte viele Jahre lang Schriftauslegung am Dallas Theological Seminary und sein Buch Grundlagen der Schriftauslegung ist für jeden, der an der Auslegung der Bibel interessiert ist, ein ausgezeichneter Startpunkt. Hinsichtlich der oben erwähnten vier Bereiche führt er weiter aus:

«Bei der Bedeutung der Wörter (Lexikologie) haben wir es zu tun mit a) Etymologie – woher Wörter stammen, wovon sie abgeleitet sind und wie sie sich entwickelt haben, b) Sprachgebrauch – wie Wörter vom selben Autor und von anderen benutzt werden, c) Synonyme und Antonyme – wie ähnliche und gegensätzliche Wörter verwendet werden und d) Kontext – wie Wörter in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht werden.

Bei der Form der Wörter (Morphologie) untersuchen wir, wie Wörter aufgebaut sind und wie sich dies auf ihre Bedeutung auswirkt. So hat das Wort schreiben eine andere Bedeutung als schrieben, obwohl beide aus denselben Buchstaben bestehen. Tisch unterscheidet sich von Tischee macht aus dem Singular (ein Tisch) einen Plural (zwei oder mehr). Geht es um die Funktion der Wörter, beschäftigen wir uns mit der Frage, welche «Aufgabe» die Wörter im Satz haben. Was für eine Wortart haben wir hier? Ist es ein Verb oder ein Nomen? Handelt es sich um ein Objekt oder ein Subjekt? Es geht um die Frage, wie die Wörter zueinander in Beziehung stehen. Wie setzen sie sich zusammen zu Phrasen, Teilsätzen, Sätzen?»

Obschon der grammatische Aspekt der wörtlichen Auslegung nur einen Punkt der Hermeneutik ausmacht, zeigt er uns doch, dass jede Auslegung, die im Widerspruch zur Grammatik steht, nicht zulässig ist.

Zurück