Endzeitlich leben: dem Anpassungsdruck widerstehen (Teil 2)

Wie bleibt der christliche Glaube in einer Welt, die sich nicht als christlich versteht, identifizierbar? Wie kann er in einer Zeit, die sich immer mehr von christlichen Inhalten und Werten verabschiedet, erkennbar und kräftig sein? Wie behält unser Glaube solche Konturen, dass er nicht im gesellschaftlichen Mainstream aufgeht bzw. untergeht? Eine Antwort.

Zweitens: Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Im zweiten Jahr seiner Herrschaft (etwa im Jahre 602) wird Nebukadnezar durch einen nächtlichen Traum tief beunruhigt. Der Inhalt des Traumes ist ihm entfallen. Daher befiehlt er den Zeichendeutern und Weisen seines Reiches, ihm sowohl den Inhalt als auch die Deutung des Traumes mitzuteilen. Diese aber sind überfordert und müssen zugeben: «Was der König fordert, ist zu hoch, und es gibt auch sonst niemand, der es vor dem König sagen könnte, ausgenommen die Götter, die nicht bei den Menschen wohnen» (2,11). Die Vertreter heidnischer Esoterik sind am Ende mit ihrer Kunst und müssen bekennen, dass es der Hilfe anderer Götter bedarf, wie man sie in Babylon nicht kennt. Schliesslich ergreift Daniel die Initiative. Da er sich selbst und auch die heidnischen Magier in Todesgefahr sieht, wendet er sich an den König und bittet um eine Frist zur Deutung des Traumes. Daniel sucht seine Freunde auf. Gemeinsam beten sie zu Gott, der weiss, «was tief und verborgen ist und in der Finsternis liegt» (2,21), damit er ihnen den Traum kundtut. In einem «Nachtgesicht» wird Daniel schliesslich eine gewaltige Vision von den Reichen dieser Welt und ihrem Zerfall zuteil.

Die Traumdeutung Daniels hat bei Nebukadnezar einen gewaltigen Schrecken ausgelöst. Es ist daher verständlich, dass er alles in seiner Macht Liegende versucht, um sein eigenes Reich zu festigen und zu einigen. Wie könnte dies besser gelingen als durch einen grossen Staatsakt, bei dem er sämtliche Untertanen zur Anbetung eines einzigen Gottes verpflichtet? Nebukadnezar lässt ein von Gold überzogenes Standbild anfertigen, dessen Höhe etwa 30 Meter und dessen Breite ca. 3 Meter beträgt. In Anbetracht der schlanken Masse dürfte es sich um einen Obelisken gehandelt haben. Zur Einweihung dieses staatlichen und religiösen Einheitssymbols lädt er sämtliche Provinzgouverneure und Statthalter sowie die Vertreter der Justiz und der Verwaltung ein. Die Einheit des Grossreiches ist eine vorrangige Aufgabe. Die Vertreter der einzelnen Regionen des Reiches sollen daher auf die Anbetung des Standbildes verpflichtet werden. 

Nun sind zur Staatsfeier auch die drei Freunde Daniels in ihrer Funktion als Bezirksstatthalter eingeladen. Als Juden sehen sie sich dem ersten Gebot verpflichtet. Deshalb weigern sie sich, das Götzenbild anzubeten. Nebukadnezar kommt dies zu Ohren: «Nun sind da die jüdischen Männer […] Die verachten dein Gebot und ehren deinen Gott nicht und beten das goldene Bild nicht an, das du hast aufrichten lassen» (3,12). 

Was sich hier abspielt, ist im Grunde lächerlich. Was sind schon drei Männer unter Tausenden, ja vielleicht sogar Millionen von Menschen, die den Staatsgott anbeten? Das Weltreich des Nebukadnezar steht für den antichristlichen Staat. Er verübt Totalität. Er verlangt totale Unterwerfung. Wer sich nicht fügt, muss weichen, wird ausgegrenzt, diffamiert, verfolgt oder gar getötet. Uns begegnen hier die Wesensmerkmale einer Diktatur. Die Geschichte ist voll davon.  

Wir leben heute in einer Demokratie. Es herrschen Meinungsfreiheit, Toleranz und Freiheit. Dabei meint die Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden. Dennoch: auch in unserer freiheitlichen Gesellschaft stossen wir an Grenzen. Es gibt so etwas wie einen Meinungsmainstream, dem man sich nur schwer entziehen kann. Wer sich diesem Mainstream widersetzt und nicht alles gut findet, was die Masse bzw. die gesellschaftlichen Meinungsmacher gut finden, erfährt sehr rasch Ausgrenzung und Diffamierung. Dies zeigt sich leider auch in vielen Kirchen und Gemeinden. Es gibt so etwas wie eine politische Korrektheit dessen, was man sagen, schreiben und denken darf und was nicht. Beispiele dafür finden sich in der kirchlichen und akademischen Welt genügend. Es ist ein Unrecht, wenn etwa der Kirchentag den «Evangeliumsdienst für Israel» auf dem Markt der Möglichkeiten nicht zulässt. Genauso ist es Unrecht, wenn Gruppen wie «Wüstenstrom», die für einen alternativen Umgang mit homosexuell empfindenden Menschen plädieren, keinen Raum auf dem grössten deutschen Protestantentreffen bekommen. 

Wir erleben zur Zeit eine aufgewühlte Situation, was den Umgang mit Muslimen betrifft. Wer wagt es zu sagen, dass die Unterschiede zwischen Islam und Christentum unüberbrückbar sind? Wer wagt es zu sagen, dass Christentum und Islam sich niemals verbrüdern können? Wer wagt es, dem Trend zur Vereinheitlichung zu widersprechen? 

Wie kann man der Anpassung widerstehen? Die drei Freunde Daniels gehorchen in dieser Situation Gott mehr als Menschen. Wo die Freiheit des Evangeliums, des Glaubens auf dem Spiel steht und bedroht ist, gilt diese Maxime. Christen sind ihrem Staat gegenüber loyal, solange sie ihren Glauben frei äussern dürfen. Wo ihnen dies verwehrt wird, besteht für sie eine höhere Loyalität, der sie gehorchen müssen.

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