SgM 04-20

SgM 04-20

Ein Rabbi wurde gefragt, wer der Mächtigste im ganzen Land sei. Seine Antwort: «Wer die Liebe seines Feindes gewinnt, ist der Mächtigste im ganzen Land.»

Als Jesus über das Gebot der Liebe sprach, stand er kurz davor, seinen Feinden den grössten Liebesbeweis Gottes zu erbringen. Darum sagt Johannes später: «Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat; auch wir sind es schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben» (1Jo 3,16).

Bedenken wir, dass Jesus von uns verlangt, bereit zu sein, das Leben für unseren Nächsten hinzugeben. Doch in den Gemeinden sieht es sehr oft anders aus. Statt «das Leben für den anderen zu geben, nimmt man sich gegenseitig das Leben».

Die Aufforderung des Herrn, uns untereinander zu lieben, gehörte zu seinem letzten, heiligen Willen. Und es ist und bleibt das grösste aller Gebote bzw. der grösste aller Befehle. Wer Jesus gehorchen will – und das wollen wir Christen ja zweifellos alle –, der sollte zuallererst und unter allen Umständen darauf bedacht sein, das grösste aller Gebote zu halten. Ich habe jedoch immer wieder den Eindruck, dass man anderes über die Liebe stellt. Und dies nur, weil die Angst herrscht, die Liebe zu missbrauchen, die Liebe falsch zu deuten oder dass die Liebe alles tolerieren würde. Jesus selbst ist uns doch das grösste Beispiel. Und wir sollen uns an diese Liebe anlehnen, mit der er uns geliebt hat. Der Herr tolerierte nicht Sünde, aber er lehnte das Gesetzliche ohne Liebe ab. Er verurteilte diejenigen hart, die die Liebe nicht praktizierten, sondern alle anderen Gebote über die Liebe stellten. Er ging seinen Jüngern, die ihn verlassen hatten, wieder nach und holte sie erneut ab. Er gewann Petrus nach dessen dreimaliger Verleugnung mit den Augen der Liebe und der Frage nach Liebe zurück. Er flehte für seine Feinde. Er nahm die Verachtetsten an. Und die Liebe seiner Hingabe erreichte die entferntesten Heiden. Es ist seine Liebe, die alle Menschen, die an ihn glauben, zu Gliedern an seinem Leib umgestaltet und hinzufügt.

Ein Mönch wollte eine Zeit lang, solange die Sonne schien, nicht essen und trinken. Ein besonders heller Stern, der auch tagsüber zu sehen war, schien ihm die Bestätigung dafür. Eines Tages begleitete ihn ein kleines Mädchen. Nach Stunden der Wanderung litten beide unter starkem Durst. Der Mönch drängte das Kind, Wasser zu trinken. Aber es wollte nur trinken, wenn er es auch täte. Nach heftigem, innerem Kampf entschied er sich, auch etwas zu trinken. Danach hatte der Mönch ein schlechtes Gewissen und traute sich nicht, gen Himmel zu blicken. Als er es schliesslich doch tat, staunte er nicht schlecht, als er nun zwei leuchtende Sterne am Himmel sah.

«Denn an Liebe habe ich Wohlgefallen und nicht am Opfer, an der Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern» (Hos 6,6).