Klemens von Rom, ein Schüler der Apostel?

Um den römischen Gemeindeleiter Klemens, auch Clemens Romanus genannt (um 50–97 n.Chr.), ranken sich viele Legenden. Was wir über ihn wissen und nicht wissen können – ein Überblick.

Clemens Romanus ist der am meisten gepriesene Name der christlichen Antike, aber so von Mythen überwuchert, dass es nahezu unmöglich geworden ist, die historischen Fakten zu seiner Person aufzudecken. Er taucht in allen Listen der ersten römischen Bischöfe auf, allerdings nicht immer an derselben Stelle. Es gibt jedoch keinen Grund, die älteste Tradition der Kirche zu verwerfen, gemäss der Klemens der dritte Bischof von Rom nach Petrus gewesen sein soll; dabei müssen wir uns aber dessen bewusst sein, dass er kein Bischof im Sinne des herrschaftlichen Verständnisses war, das sich in späterer Zeit entwickelte. Er war bloss einer der bekanntesten Ältesten in der römischen Gemeinde kurz nach der Zeit der Apostel.

Was seine Person angeht, nennt Irenäus ihn den Schüler eines Apostels, während Origenes, Eusebius, Epiphanias und Hieronymus ihn für den Clemens, den Paulus in Philipper 4,3 erwähnt, halten – was ihn zu einem besonderen Schüler des Paulus machen würde. Chrysostomos trägt diese Annahme sogar weiter, indem er von Klemens als dem ständigen Begleiter des Apostels Paulus auf allen seinen Reisen spricht, wobei die sogenannten Pseudo-Klementinen, in Übereinstimmung mit ihrem judenchristlichen Charakter, ihn am meisten in die Nähe von Petrus rücken und ihn zu dessen vertrautesten Schüler machen. 

Diese zwei Traditionen wurden auf vielfältige Weise miteinander kombiniert – dies sind aber allesamt mehr oder weniger gekünstelte Konstruktionen. Obwohl es immer noch solche gibt, die Klemens von Rom für den Clemens, den Paulus nennt, halten, haben die meisten Theologen diese Ansicht verworfen, und dies aus gutem Grund. Denn Irenäus, wenn er auch nur irgendetwas über seine Identität gewusst hätte, hätte es wohl kaum versäumt, dies zu erwähnen. Der Clemens, den Paulus erwähnt, war ohne Zweifel ein Philipper. 

Noch schwieriger ist die Frage, ob das Zeugnis der Pseudo-Klementinen, wonach Klemens ein Verwandter der kaiserlichen Familie war, einen Kern historischer Wahrheit enthält oder nicht. Einige Nachforschungen, insbesondere die Ausgrabungen der römischen Katakomben, ergaben, dass das Christentum tatsächlich in die Familie Flavians hatte eindringen können. Wenn wir nun annehmen, dass der Konsul Flavius Clemens (der von Kaiser Domitian wegen Atheismus – eine damals übliche Bezeichnung für den christlichen Glauben – zum Tode verurteilt wurde) zur christlichen Gemeinde gehörte, dann haben wir in Rom zur selben Zeit zwei prominente Christen mit demselben Namen – der eine ein Konsul, der als Märtyrer starb, der andere ein Bischof oder Ältester; und die Frage drängt sich auf: Gab es ursprünglich nur einen Klemens, der aufgrund von zeitlichen Verwechslungen in der Tradition später in zwei Personen aufgespalten wurde, oder gab es ursprünglich zwei Personen, die später in den Pseudo-Klementinen zu einem Klemens wurden? An dieser Stelle gehen die Meinungen weit auseinander; und die Frage kann wahrscheinlich nie völlig beantwortet werden.

Man sollte sich allerdings dessen bewusst sein, dass der christliche Glaube von Flavius Clemens bloss eine Annahme ist und dass der Märtyrertod von Clemens Romanus gleichermassen dahingestellt ist. Die Katakomben beweisen zwar, dass das Christentum in die Familie Flavians eindringen konnte, aber nicht, dass der Konsul Flavius Clemens selbst ein Christ war. Und wie könnte auch die römische Gemeinde innerhalb der Zeitspanne von nur eineinhalb Jahrhunderten vergessen, dass einer ihrer ersten Bischöfe ein Konsul gewesen war oder dass der erste Märtyrer unter ihren Bischöfen ein Mitglied der kaiserlichen Familie gewesen war? Irenäus erwähnt Telesphorus als den ersten Märtyrer unter den römischen Bischöfen; und sowohl Eusebius als auch Hieronymus meinen, dass Klemens im dritten Jahr der Regierung Trajans eines natürlichen Todes starb. Dies bringt uns zum Schluss, dass der Konsul und der Bischof, Flavius Clemens und Clemens Romanus, zwei verschiedene Personen waren; damit müssen wir zugeben, dass wir nichts über das Leben von Clemens Romanus wissen ausser seinem ungefähren Sterbedatum und dem Amt, das er in der Gemeinde innehatte.

Von den vielen Schriften, die den Namen des Klemens tragen, sind die meisten nachweislich gefälscht, wie zum Beispiel die Apostolischen Konstitutionen oder die Pseudo-Klementinen. Auch über die zwei Briefe über die Jungfräulichkeit müssen wir nicht lange diskutieren. Die Sichtweisen zur mönchischen Enthaltsamkeit, die sie verbreiten, und der Stand der kirchlichen Entwicklung, worauf sie Bezug nehmen, zeigen, dass sie in eine viel spätere Periode gehören. Die zwei Klemensbriefe an die Korinther – insbesondere der erste – gehören allerdings zu den wichtigsten Dokumenten der christlichen Antike. In der Alten Kirche waren sie hochangesehen und an vielen Orten wurden sie im Gottesdienst vorgelesen. Trotzdem verschwanden sie im fünften Jahrhundert aus der Westkirche und blieben völlig unbekannt, bis Junius sie wiederentdeckte und sie 1633 in Oxford veröffentlichte.

Der erste Klemensbrief an die Korinther ist ein offizielles Sendschreiben der römischen Gemeinde wegen Meinungsverschiedenheiten in der korinthischen Gemeinde. Da der Brief im Namen der ganzen Gemeinde geschrieben wurde, ist kein Autor angegeben; antike Zeugen bezeichnen jedoch Klemens als Verfasser. Dionysios, Bischof von Korinth, schreibt in seinem Brief an Bischof Soterus von Rom um etwa 170 n.Chr. den Brief Klemens zu und fügt hinzu, dass der Klemensbrief in seiner Gemeinde immer laut vorgelesen wird. Auch Clemens von Alexandria hat eine hohe Meinung von diesem Brief, zitiert oft aus ihm und nennt seinen Autor einen Apostel. Da so wenig über Klemens bekannt ist, ist die Frage der Echtheit des Briefes eine Frage des Abfassungszeitpunkts. Früher wurde im Allgemeinen angenommen, dass der erste Klemensbrief zwischen 64 und 68 n.Chr. geschrieben wurde. Eine nähere Untersuchung der Fakten scheint jedoch eher eine Zeitspanne am Ende des ersten Jahrhunderts nahezulegen, zwischen 93 und 97 n.Chr. Einerseits waren nicht nur Petrus und Paulus, sondern bereits alle Apostel verstorben und im Gemeindeleben schien seitdem schon einige Zeit vergangen zu sein. Andererseits waren Älteste im Amt, die von den Aposteln selbst ernannt wurden, und es gab Gemeindeglieder, die Zeitgenossen der Apostel gewesen waren. 

Der zweite Klemensbrief an die Korinther ist überhaupt kein Brief, sondern eine Predigt; und als solche, nämlich als älteste existierende Botschaft, ist sie natürlich von grossem Interesse. Wo, zu welcher Zeit und von wem die Predigt geschrieben wurde, sind sehr schwierige Fragen; und von den vielen Ideen, die als Antworten vorgebracht wurden, war bisher keine wirklich zufriedenstellend. Es scheint am wahrscheinlichsten, dass die Predigt in Rom entstand, zwischen 130 und 140 n.Chr., aber wie sie als zweiter Brief mit dem Klemensbrief an die Korinther in Verbindung gebracht wurde, muss zurzeit unerklärt bleiben.

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