Neben dieser grossen Jesajarolle wurde noch eine weitere – wesentlich schlechter erhaltene – Jesajahandschrift in der Höhle 1 entdeckt. Ihr Text weist kaum Abweichungen gegenüber dem masoretischen Text auf.
Aber es blieb nicht bei diesem Fund allein. Bis 1956 entdeckten – fast immer die Beduinen – zehn weitere Höhlen mit den Überresten von rund 1.050 Schriftrollen. Aber leider waren die Rollen, im Gegensatz zu denjenigen in der ersten Fundhöhle, in zigtausende von Bruchstücken zerfallen. Insgesamt über 80.000 Rollenschnipsel mussten mühsam von Fachleuten gesichtet und zusammengefügt werden. In den 1950er-Jahren wurde extra dafür im Auftrag der Jordanischen Antikenverwaltung ein siebenköpfiges internationales Schriftrollenteam zusammengestellt. Aus den 80.000 Fragmenten konnten 15.000 zusammengehörige Teile rekonstruiert werden. Dabei konnten die Experten Abschriften fast aller alttestamentlichen Bücher nachweisen. Eine Handschrift barg Sensationelles. Unter den Fragmenten aus Höhle 4 entzifferte man die Reste einer Samuel-Abschrift aus dem dritten Jahrhundert v.Chr. Sie entpuppte sich als Vorlage der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta (LXX).
Der Samueltext der Septuaginta zeigte schon immer eine leicht andere Textfassung als derjenige der hebräischen Bibel. Man meinte, dass sich die Übersetzer um 200 v.Chr. einige Freiheiten herausgenommen hätten. Aber das Gegenteil ist der Fall! Die Qumrantexte belegen, dass die Übersetzer sehr sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet haben. Die Textschwankungen sind nicht auf die Übersetzer sondern auf die etwas andere hebräische Textvorlage zurückzuführen. Es gab zur Zeit Jesu also verschiedene «Bibelausgaben», so wie es heute verschiedene Bibelausgaben gibt. Vor den Qumranfunden glaubte man, dass es nur eine Version der hebräischen Bibel gegeben hätte. Doch das Judentum benutzte mehrere Bibelausgaben nebeneinander.
Dieses Phänomen zeigen auch die beiden Fassungen von Jeremia. So wurden neun Abschriften des Buches Jeremia entdeckt. Die älteste Handschrift 4QJera stammt von ca. 200 v.Chr., die jüngste 4QJerc aus dem 1. Jh. n.Chr. Diese beiden Fragmente stehen dem masoretischen Bibeltext sehr nahe. In der Septuaginta finden wir aber eine um 13 % kürzere Fassung des Buches Jeremia. Die Fragmente 4QJerb und 4QJerd bieten den hebräischen Text in der kürzeren Fassung, die auch den Übersetzern der griechischen Bibel vorgelegen hat. Es gab also zwei antike Fassungen des Buches Jeremia: eine frühere, kürzere Version (4QJerb, 4QJerd, Septuaginta) und eine spätere, längere Version (4QJera, 4QJerc, masoretischer Text).
Insgesamt handelt es sich bei den Qumrantexten um die Reste von 1.050 Schriftrollen. Die Texte sind in der Mehrheit auf Hebräisch, einige auf Aramäisch und wenige auf Griechisch verfasst. Von den Qumrantexten enthalten rund 150 Rollen Abschriften der Apokryphen (u.a. Tobit, Jesus Sirach, Psalm 151) und Pseudepigraphen (u.a. Buch Henoch, Psalm 152–155), sowie 600 Rollen nichtbiblische, bisher unbekannte jüdische Literatur (u.a. Gemeinderegel, der Habakuk-Kommentar, die Tempel-, Kriegs- und die Kupferrolle). Rund 300 der Rollen sind Abschriften alttestamentlicher Bücher (die ältesten aus dem 3. Jh. v.Chr.). Alle Bücher des Alten Testaments (bis auf Ester) wurden in den Qumranhöhlen entdeckt. Die meisten Abschriften gibt es vom 5. Buch Mose (39), von den Psalmen (39), 1. Mose (30), 2. Mose (30), Jesaja (22), 3. Mose (22), 4. Mose (15), Daniel (11) und den 12 kleinen Propheten (13). Alle anderen Bücher sind mit jeweils weniger als 10 Abschriften vertreten. Von 1./2. Chronik und Esra gibt es jeweils nur 1 Fragment.
Neben Schriftrollen mit Bibeltexten und den Abschriften der sogenannten apokryphen Texte kamen aber auch bisher völlig unbekannte jüdische Schriften zum Vorschein. Die Mehrheit der Forscher sieht in diesen Schriften die Hinterlassenschaft der Essener, einer der grossen jüdischen Religionsparteien aus der «zwischentestamentlichen» Zeit. In ihrer Einhaltung der Thora (5 Bücher Mose) und besonders des Sabbats waren Essener noch rigoroser als die Pharisäer.
In den letzten Jahrzehnten gab es geradezu eine «Bücherschwemme» zum Thema «Jesus und Qumran», bis hin zur These, dass der Vatikan die Herausgabe der Qumranrollen verhindere und sie zu einer «Verschlusssache» erklärt habe, da die Texte für die katholische Kirche hochbrisantes Material über Jesus Christus enthalte: Er sei nicht der Sohn Gottes und der Messias, sondern ein ganz normaler Rabbi, der mit Maria verheiratet gewesen sei und Nachwuchs gehabt habe. All diese wilden Phantastereien sollen angeblich in den Qumrantexten stehen. Weltweit wurden diese Thesen durch den Christentum-feindlichen Skandalbestseller Sakrileg (oder Der Da Vinci Code) von Dan Brown millionenfach verbreitet, gelesen und – leider! – auch geglaubt.
Als wir unser Antwortbuch Das wahre Sakrileg herausbrachten, das diese Thesen als reine Lügen entlarvte, wurde der herausgebende Verlag auf 250.000 EUR verklagt. Den Gerichtsprozess gegen uns hat der Verlag von Dan Brown dann aber nicht gewonnen. Das Buch erschien und wurde das erfolgreichste deutsche Sachbuch gegen den Schwachsinn des «Da Vinci Codes». Aber leider wurden die reisserischen Thesen von Dan Brown und «Verschlusssache Jesus» millionenfach verkauft und geglaubt. Dennoch bleiben ihre unwahren Behauptungen lediglich eine millionenfach geglaubte Lüge, die die Autoren sehr reich gemacht haben. Mit seriöser wissenschaftlicher Forschung haben sie nichts zu tun. Diese Literatur gehört in den Bereich der Schundmärchen. Fakt ist: Der Vatikan hat zu keinem Zeitpunkt etwas mit der Herausgabe der Qumrantexte zu tun gehabt; dies ist seit 1967 ausschliesslich Angelegenheit der israelischen Antikenbehörde. Alle Texte sind heute wissenschaftlich veröffentlicht. Auch in deutscher Übersetzung liegen die Qumrantexte vor.
2011 hat das Israel-Museum zudem in Zusammenarbeit mit dem Internetkonzern Google die kompletten Schriftrollen ins Netz gestellt, die in seinem Besitz sind, so unter anderem die grosse Jesajarolle und den Habakuk-Kommentar aus Höhle 1. Die Digitalisierung hat Google 5 Millionen US-Dollar gekostet. Seit 2012 können zudem auch hochauflösende Digitalfotos mehrerer Tausend Fragmente im Internet abgerufen werden. Die Fragmente gehören nicht dem Israel-Museum und werden daher auf einer eigenen Internetplattform von der Israelischen Antikenbehörde präsentiert. Das unglaublich kostenintensive Projekt wird unter anderem von der amerikanisch-jüdischen Leon Levi-Stiftung mit 10 Mill. US-Dollar mitfinanziert.
Zuerst waren es über 4.000 Scans von Fotografien, die in den 1950er-Jahren für die Mitarbeiter des internationalen Schriftrollenteams gemacht wurden. Dazu kamen über 1.000 Fotos, die für das Digitalisierungsprojekt in einem eigens gebauten Fotolabor angefertigt wurden. 2014 wurden weitere 10.000 und im letzten Dezember noch einmal 17.000 (!) Digitalfotos hochgeladen. Nun kann jeder die Qumrantexte in dieser frei zugänglichen digitalen virtuellen Bibliothek studieren (die Webseite ist auch auf deutsch abrufbar).